„Meine Fahne ist im Schnöggel verschwunden!“, jammert Henni. Die Fahne war nach den Winterferien, – sie hatte immer an der Schnöggel-Hauswand zum Gastgarten gehangen, – bis heute nicht wieder aufgetaucht.
Ulla verdreht die Augen, denn Henni spricht seit einer Stunde, seitdem sie bei ihr zum Kaffee war, von nichts anderem. Jeder zweite Satz fängt an mit „Meine Fahne …“
„Sie haben also schon überall gesucht!“, fragte Ulla noch einmal.
„Ja, wir waren sogar auf dem Dachboden!“, sagte Henni mit leuchtenden Augen. Sie liebte Dachböden und noch mehr all die abgestellten Kisten, in denen Unmengen an Geschichten nur darauf warteten, entdeckt und neu erzählt und aufgeschrieben zu werden.
„Vielleicht!“, beginnt Ulla geheimnisvoll, „hast du noch nicht auf dem richtigen Dachboden nachgeschaut!“ Ulla schaut noch einmal auf ihr Smartphone, das eine Textnachricht geschickt hat.
„Wie meinst du das?“, fragt Henni, doch sie bekommt keine Antwort, denn in diesem Moment klingelt es an der Haustür.
„Machst du bitte mal auf?“, fragt Ulla und versucht nicht zu lachen.
Henni schaut sie fragend an, ist aber zu neugierig und geht natürlich zur Haustür. Dort steht ein Paketbote.
„Sind Sie Henni?“, fragt er.
Henni nickt. „Ich wohne hier aber nicht!“, ergänzt sie noch.
„Aber sie sind Henni c/o bei Ulla Wirsing.“ Jetzt muss Henni lachen, das muss sie immer, wenn sie Ullas Nachnamen hört.
„Ja, die bin ich!“
„Sie haben einen eigenen Dachboden?“, fragt er und Henni schaut ihn noch verwunderter an.
„Ja, aber nicht hier!“, antwortet sie und jetzt lacht der Paketbote.
„Dann schauen Sie da mal nach einer Paketsendung, die müsste da liegen. Doch vorher unterschreiben Sie bitte hier.“ Er hält ihr ein kleines Gerät und einen Stift hin, der daran befestigt ist.
„Was soll ich?“ Henni kennt sich nicht mehr aus.
„HIER unterschreiben!“ Die Stimme des Paketboten bekommt ein ungeduldiges Rot in der Stimme. Er muss weiter und hat keine Zeit für Menschen, die die Dinge und die Welt nicht so schnell kapieren.
Henni unterschreibt und bekommt einen Zettel. Mit dem geht sie zurück zu Ulla.
„Und?“, fragt Ulla mit einem wissenden Grinsen.
Henni liest de Zettel: „Liebe Henni, ich warte auf dich auf deinem Dachboden. Da hat Ulla mich hingebracht. Ich musste einfach mal raus und möchte woanders hängen. Da wo ich gesehen und gewertschätzt werde! Deine Fahne[1].“
„Du hast …!“ Na ja, heute ist der 1. April und Henni überlegt kurz, ob Ulla sie in den April schicken will. Henni kommt nicht weiter, weil Ulla laut prustend zu lachen beginnt.
„Na los, geh schon los, komm aber zum 2. Stück Kuchen wieder!“
Henni flitzt los und findet auf ihrem eigenen Dachboden tatsächlich ihre Fahne. Dass das eine neue Fahne ist, merkt sie sofort, aber sie freut sich so sehr über die tolle Idee von Ulla.
„Jetzt müssen wir nur noch einen neuen Ort finden, wo wir sie hinhängen können!“, erklärt Henni Ulla beim zweiten Stück Bananenbrot und nachdem sie die Fahne mal einfach so an Ullas Balkon gehangen hat.
Also, weißt du einen Ort für Hennis neue/alte Fahne?
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Referenz:[1] Hennis Fahne wurde nach dem Beginn des Ukraine Krieges angefertigt und sollte mehr als ein politischen, sondern viel mehr ein zutiefst menschliches Statement sein.
Das ist es auch geworden.