Henni stand lange ganz still und starrte eine gefühlte Ewigkeit auf ein und dieselbe Stelle am Boden neben dem Lüftungsschacht an der Ecke bei C&A. Sie starrte wie früher als Kind und konzentrierte sich, in der Hoffnung, wenn sie nur lange genug starren würde, dann wäre der hellrote Blutfleck, den sie auf dem Asphalt sah, nicht mehr da. So, als würde das Unfassbare verschwinden. So, als könne sie das Geschehene wieder rückgängig machen, wenn sie es nur lange genug wegstarrte.
Wegstarren half nicht.
Tat es nicht.
Wegschauen hilft auch nicht.
Tat es noch nie.
Nichts verschwand.
„Wie kann ein Mensch einem anderen das antun?“ Ihre grässliche Oma im Kittel, bei der sie nach dem Tod ihrer Mutter leben musste, war auch ein ziemlich übler Mensch gewesen, da hatte sie bereits eine Menge erleben müssen, aber einen Menschen, der auf dem Boden liegt und schläft zu überfallen, da setzte bei Henni jedes Vorstellungsvermögen aus …
Hennis Welt war aus den Fugen geraten und sie hatte gehofft, wenn sie hierherkommen würde, würde sie verstehen …
Sie verstand es nicht.
Nicht hier.
Nicht zuhause.
500 Meter Luftlinie entfernt.
Nicht weit weg.
Nicht in einer anderen Stadt.
Nicht im Fernsehen.
Hier. Hier in ihrer Stadt!
Henni wischte ihre Tränen aus dem Gesicht. Sie drehte sich herum, drehte aber dem Menschen und dem, was sie gesehen hatte, nicht den Rücken zu und schwor sich in diesem Moment nicht aufzuhören, mit anderen gemeinsam hinzuschauen!