Allgemein, Henni
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Henni und das leuchtende Osterei am Horizont

– – – – – – – FÜR ALLE, die wie ich geglaubt haben, sie könnten nicht malen !!! – – – – – – –

Hier auch die Audio-Datei:

 

„Wir haben das doch schon gestern alles gesehen, oder?“ Henni seufzte in das Instant-Kaffeepulver-Glas. Jeden Morgen derselbe Blick aus dem Küchenfenster: Dächer, Dächer und Dächer, ach, ja, da waren ja auch noch Dächer. Und am Horizont, ein Dach nach dem anderen Dach.
Henni verschloss das Glas mit dem Kaffeepulver, schüttete das heiße Wasser aus dem Wasserkocher in die vorbereitete Tasse, in der sie das Kaffeepulver langsam verrührte. Heute gab es die Feiertagstasse, die weiße, hohe Tasse, ohne alles. Die sah immer so fein aus, fand Henni, deshalb holte sie die nur sonntags oder an Feiertagen aus dem Küchenschrank.
Henni schaute nach dem ersten Schluck Kaffee noch einmal hinaus. Der Ausblick hatte sich nicht verändert. Oder? Sie rieb sich die Augen.

„Was ist das denn da. Wir müssen das Fernrohr holen!“, sagte Henni ganz aufgeregt. Das Fernrohr hatte sie mal auf dem Speicher ihrer Oma gefunden und ihr nicht zurückgegeben. Sie hatte das nie bemerkt und Henni konnte von diesem Tag an immer aus ihrer Welt in die Ferne schauen.
Sie wühlte im Schrank und fand es schließlich zwischen Winterschuhen und dem alten Koffer.

Sie ging ans Fenster. Da ganz hinten am Horizont, da leuchtete etwas, die Spiegelung des Sonnenlichts auf dem Dachfirst? Grün? Lila? Sie konnte es nicht erkennen, aber es machte sie neugierig. Wenn sie richtig geschaut hatte, kam das Leuchten vom Alten Rathausplatz.

Henni lief zum Fenster. Jetzt war eigentlich die Zeit, mit der sie sich mit Ulla immer am Fenster traf.

Sie öffnete das Fenster, Ulla wartete schon. Bevor Ulla etwas sagen konnte, rief Henni aufgeregt:

„Wir müssen das Leuchten in Grün und Lila finden. Kommst du mit?“
Ulla lachte und winkte ab. „Das geht doch nicht, aber du musst mir danach davon erzählen!“

Henni nickte: „Wir müssen jetzt los!“ Sie schloss das Fenster, zog sich schnell an, schnappte sich das Fernrohr und den Rucksack und verließ ihre Dachwohnung.

Henni hielt sich das Fernrohr vor das linke Auge und ging ganz langsam in Richtung Grün-Lila-Leuchten. Ein kleines Stück über den Radweg, über den Fritz-Kühn-Platz, die Treppen doch und dann über den gesperrten Konrad-Adenauer-Ring in die Stadt. Das Leuchten wurde immer intensiver.

Und da sah sie es. „Wow, so etwas haben wir ja noch nie gesehen!“, sagte Henni und blieb überrascht stehen. Auf dem Asphalt des Platzes war ein riesengroßes Osterei gemalt, wirklich riesig. Es reichte von der Bank von H&M bis zum Eingang von DM. Und es war innen grün und außen lilafarben. Innendrin stand mit großen schwarzen Buchstaben „Frohe Ostern und bleibt gesund!“

Daneben hockte ein fast winziger Osterhase, der sich zu fragen schien, wie das Osterei wohl zu bewegen war.

„Gefällt es dir?“, fragte ein Mann mit langen Haaren, die durch ein Stirnband gehalten wurden. Henni hatte ihn zuerst gar nicht gesehen. Er saß auf der äußeren schmalen Fensterbank an der Stadtbücherei. Henni schaute von seinem Stirnband, das sie an Winnetou erinnerte, an seiner Lederweste hinunter auf seine Finger, denn die leuchteten genauso wie das Osterei.

„Deine Finger leuchten ja auch! Wir sind dem Leuchten gefolgt?“, sagte Henni und hielt ihr Fernrohr jubelnd in die Luft.

Er lachte und dieses Lachen fühlte sich so an, als würde sie eine weiche, warme Decke gehüllt.

„Dein Lachen gefällt uns. Was ist das für eine Farbe?“, fragte Henni weiter.

„Das sind Neonfarben. Ziemlich gute sogar und wenn es heute nicht regnet, werden die Farben sogar in der kommenden Nacht leuchten!“ Er zeigte auf einen grünen Riesenrucksack. „Probier‘ es selbst!“

„Oh, nein!“, wehrte Henni ab, „Wir können nicht malen!“

„Das glaube ich nicht. Ich habe eine Idee. Ich brauche noch jemanden, der mir hilft das Osternest auszumalen.“ Er kramte in einer Kiste herum und holte ein großes Stück rote Kreise heraus.

„Ich denke, die Farbe passt gut zu deinen Gummistiefeln, oder?“ Er hielt ihr das Stück Kreide hin.

„Ich bin Ben!“, sagte Ben, legte das Stück Kreide neben sich, weil Henni noch immer zögerte und begann selbst ein Stück des Osternestes mit gelb anzumalen.

Henni schaute ihm noch einen Moment zu, legte dann ihren Rucksack und das Fernrohr an die Seite, nahm das Stück Kreide und begann auf den Asphalt zu malen. „Wie haben noch nie auf den Boden gemalt!“, sagte Henni und strahlte.

 

6 Kommentare

    • Sabine sagt

      Liebe Ursula,
      schön, dass du den Weg hierher gefunden hast,
      liebe Grüße,
      Sabine

  1. Annemarie Winckler sagt

    Liebe Sabine,
    diese schöne Ostergeschichte hätte ich beinahe verpasst. Aber manche Ostereier findet man auch erst einige Zeit nach Ostern wieder und freut sich dann um so mehr. So geht es mir mit dem neongrünen Osterei. Ich schaue heute abend mal in den Himmel, ich glaube, da leuchtet es derzeit besonders schön rot. Das ist vielleicht der Widerschein aus dem Osternest, das Henni ausgemalt hat.
    Liebe Grüße
    Anne

    • Sabine sagt

      Liebe Anne,
      eine Kollegin hat die Geschichte mit ihrer Enkelin Pia gelesen und sie sind beide zum Alten Rathausplatz gegangen, um das Ei zu suchen … 🙂
      Wer weiß, vielleicht nächstes Jahr …
      Liebe Grüße,
      Sabine

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