Henni saß einen Tag später auf der Bank an der Düne am Rand des Radwegs. Sie hatte sich im Inselmarkt ein „Yes-Torty“ gekauft, eine kleine rote Kerze hineingesteckt und diese angezündet.
„Herzlichen Glückwunsch Henni!“, sagte Henni. „Wir dürfen uns etwas wünschen! Die nächsten vier Jahre sind um. Wir haben endlich wieder Geburtstag!“ Sie schloss die Augen und blies die Kerze aus.
Eine laut kreischende Möwe flog über sie hinweg.
„Wir haben dich nicht eingeladen!“, rief Henni, die etwas wütend war, weil sie ihren Wunsch noch nicht zu Ende gewünscht hatte und das brachte schließlich Unglück. Was Unglück brachte, das wusste Henni ziemlich genau, denn ihre Oma hatte ihr das schon als Kind immer gesagt.
„Du hast mir an diesem Tag meine Tochter genommen und mir nichts als Unglück gebracht. Kein Vater. Kein ordentlicher Geburtstag und noch nicht einmal hübsch oder schlau.“, hatte ihre Oma, bei der sie nach dem frühen Tod ihrer Mutter lebte, immer böse geschimpft und mit ihrem Stock wild gefuchtelt. Henni musste sich immer in Acht nehmen, vor allen Dingen, wenn die Oma zu viel von dem selbstgemachten Schnaps vom Dorfwirt trank.
Sobald Henni alt genug war, machte sie, dass sie von dieser bösen Oma wegkam. Einmal wurde sie von der Polizei kurz vor Hamburg zurückgebracht und sie bezog die schlimmste Tracht Prügel ihres Lebens mit dem Stock. Beim zweiten Mal war sie schlauer und tauchte in Berlin unter. Hier lebte sie bis heute.
Erst Uwe zeigte ihr wie Geburtstage gefeiert wurden. Er brachte ihr immer ein „Yes-Torty“ und eine Kerze mit und lud sie an guten Tagen zum Coffee-to-go ein.
„Hallo Henni, was machen Sie da alleine auf der Bank?“, fragte Fedderik, der mit seinem Rad vorbeikam.
„Meinen 13. Geburtstag feiern!“, sagte Henni ganz andächtig. So hatte Uwe das immer genannt und war ganz ruhig geworden, Mit dem Geschmack von Kaffee und einem Stück Torte konnte Henni das auch einen Moment lang, also andächtig und ruhig sein.
„Darf ich mich setzen oder feiern Sie lieber alleine mit Ihrer Torte?“, fragte Fedderik.
„Ich kann Sie ja einladen!“, sagte Henni, nahm die Kerze aus der Kuchenmasse, teilte die Torte in zwei gleiche Hälften, gab ihm ein Stück und macht ihm dann Platz auf der Bank. Schweigend aßen sie ihre Hälften auf.
„Ist aber ein bisschen kalt hier? Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen das Café mit dem besten Geburtstagskaffee der Insel zeige? Und zum Nachtisch gibt es dann frischen Apfelkuchen vom Blech mit viel Sahne?“
„Mit viel Sahne?“, überlegte Henni und schaute aufs Meer.
„Natürlich. Sahne ist das Geschenk für einen Kuchen. So wie ihr Geburtstag heute, ein Geschenk ist, denn sie wurden an einem geschenkten Tag geboren.“
„Ich bin also wie Schlagsahne und kein Unglück!“, lachte Henni leise. „Das habe ich noch gar nicht gewusst!“
[…] Sabine Hinterberger: Der geschenkte Tag oder Henni und die Schlagsahne […]
Liebe Sabine,
ich würde Henni auch gerne zum Geburtstag gratulieren und die Yes-Torte mit ihr essen – mit viel geschenkter Sahne dazu.
Die Szene hat eine sehr melancholische Stimmung mit dieser Frage nach dem Wert der eigenen Existenz. Aber in der unaufgeregten Begegnung mit Fedderick kommt plötzlich die Sonne durch die Wolken. Das zaubert ein lichtes Lächeln auf mein Gesicht.
Danke für die berührende Geschichte.
Herzliche Grüße
Ulrike
Liebe Sabine,
da hab ich doch gerade in Ulrikes Kommentar aus Versehen gelesen ‚kommt plötzlich die Sahne durch die Wolken‘ und musste erst mal über meinen Verleser lachen. Aber dann dachte ich, die Assoziation ist doch eigentlich nicht die schlechteste, wenn statt der Sonne oder vielleicht mit ihr die Sahne auf das Geburtstagskind Henni aus den Wolken hinunterblinzelt. Sie hat es verdient nach diesem schwierigen Start ins Leben, dass sie wenigstens hin und wieder Sonne mit Sahne und Kuchen genießen darf.
Ich bin gespannt, wie es weiter geht. Es geht doch weiter, oder?
Liebe Grüße
Anne