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Henni hat mehr als nur Montagslaune

Ein unsagbar früher Mittwochmorgen. 4:44 Uhr. Henni zieht einen Flunsch. Nicht irgendeinen Flunsch. Der hier war so noch nie in ihrem Gesicht gewesen. Noch niemals nie, da war sich Henni sicher.

„Wir können gar nicht so breit flunschen, wie wir schlechte Laune haben!“, schimpft Henni vor sich hin. Sie war in dieser halben Woche – und es war gerade mal die Hälfte der Woche vergangen, – viel zu vielen Menschen begegnet, die nur sich selbst und ihren Teller im Blick hatten und den eigenen Tellerrand nicht einmal am Horizont erkennen würden, wenn sie ein Fernglas dabei hätten!
Henni stand vor dem Spiegel. Sie sah ihr Gesicht im Spiegel an und zeichnete mit ihren Fingern die Spuren dieser unglaublichen Montagslaune nach, die noch Tage in ihrem Inneren nachwirkte. Es war ihr für diesen einen Moment so, als würde sie nicht nur die schlechte Laune dieses einen Montags, sondern die all seiner Vorgänger*innen in ihrem Gesicht sehen und spüren können. Das vertraute und sichere Gefühl, wenn der Montag wieder alle die Dinge mitbrachte, die er nur mit einer kurzen Wochenende-Unterbrechung an die Seite geschoben hatte. Dass sie wiederkamen, darauf konnte sie sich verlassen, wie auf das Aufgehen der Sonne an jedem Tag.

Abgrundtiefe schlechte Laune, die so viel mehr war als eine Laune.
Dahinter stand eine abgrundtiefe Wut!

Wut auf kleinkarierte und enge Sichtweisen, die nur Regeln und Vorschriften, aber keine Lösungen kannten.
Wut auf Feigheit, auf Menschen, die erst groß tönten und, wenn es um etwas ging, still zur Seite traten, so als hätten sie nie etwas gesagt.
Wut auf die, die ihr ins Gesicht lächelten und, wenn sie nicht dabei war, ganz anders redeten, so wie es ihnen eben gerade ganz gut in den Kram passte.
Wut auf diesen Krieg, der so viele Menschen in die Flucht trieb, sie ihres Zuhauses beraubte und dafür sorgte, dass es auf einmal ein Gegeneinander und ein Bekämpfen des angeblich Anderen gab, der bis gestern noch dein Nachbar, dein Freund gewesen war.
Auf einmal gab es wieder so viele alte, neue Grenzen und Abgrenzungen im Kopf.

War das so? Mussten Menschen sich das immer wieder aufs Neue antun? Im Kleinen und dann im Großen?

Henni fand die Antwort heute nicht. Heute war Mittwoch.

„Jetzt wissen wir endlich, wie schrecklich tief und furchteinflößend ein Abgrund sein kann!“, sagte Henni zu ihrem Spiegelbild und entdeckte auch die fehlende Antwort darin. Sie drehte sich weg und ließ ihr Spiegelbild einfach so da stehen. 

 

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