Kreatives Schreiben, NaNoWriMo
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NaNoWriMo 2020 – Ein Kapitel aus dem aktuellen Schreibprojekt mit Henni

Ich schreibe seit Anfang November an meinem neuen Schreibprojekt Henni, die Eule und die Zeit unterm Tisch“. Ich habe mich dieses Mal in die Kindheit meiner erwachsenen Hauptfigur Henni begeben und erzähle, warum sie heute von sich in der „Wir“-Form spricht und wie sie zu der Frau mit den roten Gummistiefeln und den weißen Punktengeworden ist, die wir heute kennen.

Es gibt Tage, da sind die täglichen 1700 Wörter wirklich mühsam und wollen auch mit der nächsten und nächsten Tasse Kaffee nicht so recht aufs Papier. Eine neue Erfahrung für mich, die Wörter eigentlich ohne Probleme runterschreibt. Und dann erinnere ich mich an das, was ich derzeit in meiner Online Schreibwerkstatt mit den jugendlichen Autor*innen mache und genau das setze ich für mich um, ich verändere die Perspektive und lasse andere Figuren gestern und heute auf Henni schauen. Das hat mir geholfen und meine neue App Nebo (Danke, Andrea!), die Handgeschriebenes vom Tablett in Word umwandelt. Eine tolle Erfindung, denn die kann auch meine Handschrift (!) lesen.

Hier ein Auszug aus einer Szene mit Hennis Oma, bei der sie seit dem Tod ihrer Mutter leben muss.

8. Kapitel – Die Verandaschaukel und Voldemort im grünen Regenmantel

Jeden Tag wurde der Weg zurück ein wenig schwerer und am Anfang der Straße legte sich schon ein, für alle anderen unsichtbarer, Schatten auf Hennis bis dahin gute Laune und die Angst gesellte sich zu ihr zurück. Es fühlte sich an, als hätte die Angst nur darauf gewartet, dass sie wieder zurückkam.

„Du fütterst die Angst selbst!“, sagte Ben leise.

„Du hast gut reden, du musst da ja auch nicht wieder reingehen.“

„Na ja, heute bestichst du sie mal wieder mit leckerem Essen, heute mit Grünkohl und Nachtisch.“ Er versuchte in kleines Grinsen.

„Nein, den essen wir heute Abend selbst. Die Nachtische hat sie nicht einen einzigen Tag bekommen, Das hat sie davon, wenn sie immer so gemein zu uns ist!“ Hennis Gesicht wirkte entschlossen.

„Ja, ich würde ihr auch keinen einzige Bissen davon abgeben!“ Ben verabschiedete sich und Henni stieg die drei Stufen zum Haus hinauf. Würde nicht die Oma-Frau im Kittel dort wohnen, wäre es ein schönes Haus, mit einer Veranda vor der Tür, wie sie das früher nur aus amerikanischen Filmen kannte. Dort stand eine alte Hollywoodschaukel, die mal weiß gestrichen gewesen war. Jetzt sah sie ziemlich grau und hässlich aus, wie alles, was der Oma-Frau im Kittel gehörte. Henni hatte angefangen die Schaukel abzufegen und neu zu streichen. Die Farbe hatte sie im Keller gefunden. Sie wollte auch heute noch nicht reingehen und brachte daher nur das Essen schnell rein. Sie sah, dass im Schuppen Licht brannte und stellte das Essen in die Küche auf den Tisch. Dann holte sie die Farbe, einen Pinsel und etwas Abdeckfolie und ging wieder auf die Veranda vor dem Haus. Anstreichen tat Henni gut. Ihr kam es vor, als würde sie auch ihre Angst heller streichen. Ihr ging es besser danach und heute schaffte sie es die letzten grauen Rest weiß anzustreichen. Sie bestaunte ihr Werk und war stolz auf das, was sie da geschaffen hatte. Heute war noch ein schöner, warmer Oktoberabend und es war schade, dass sie den nicht schon auf der Veranda sitzend verbringen und die zweite leckere Portion Vanillepudding mit Apfelkompott verputzen konnte. Vielleicht morgen.

Henni bückte sich und entdeckte dabei etwas Weißes, das im Scheinwerferlicht des vorbeifahrnden Autos kurz aufblitzte und bisher anscheinend unten in einer der Zwischenräume der unregelmäßig verlegten Verandadielen verdeckt gewesen war. Vermutlich war es dort hineingefallen und nicht mehr wiedergefunden worden. Es war eine Schachtel, die fast so aussah wie die Schachtel ihrer Nasentropfen. Irgendein kompliziert klingender Name stand darauf. Der fing auch mit dem Buchstaben „O“ an O-M-A. O-P-D-I-V-O buchstabierte Henni langsam.  Sie steckte die längliche Schachtel ein und wollte oben in ihrem Zimmer noch einmal in Ruhe nachschauen.

Sie machte ein Foto von der frisch bemalten Verandaschaukel mit dem Smartphone für Ben und schickte es weg. Ein dicker Smiley kam zurück. Du hast es drauf, Da Vinci!

Henni grinste, räumte den Farbeimer und den Pinsel in den Keller, nachdem sie ihn in der Küche ausgewaschen hatte und ging dann mit dem Nachtisch auf ihr Zimmer.

Sie hatte gerade den letzten Löffel versputzt, als sie ein Schreien und Fluchen von der Veranda hörte.

„Welcher Idiot hat meine Bank vollgeschmiert?“ Die Oma-Frau im Kittel schrie mal wieder die ganze Nachbarschaft zusammen. „HENNI!“ Der dunkelrote Klang ihres Namens ließ sie das schlimmste befürchten. Was sollte sie denn jetzt schon wieder angestellt haben.

Henni rappte in ihrem Kopf vier Strophen, bevor sie ganz langsam die Treppe herunterging.

Jede Stufe eine Strophe.
Eins.

Sie ist ein Riesendrama
spuckt ihr Worte aus. Lama!

Zwei.

Sie macht mich winzig und klein
kommt, haut ihr eine rein!

Drei.

Sie ist ein Riesendrama
spuckt ihr Worte aus. Lama!

Vier.

Sie macht mich winzig und klein
kommt, haut ihr eine rein!

Fünf.

Sie ist ein Riesendrama
spuckt ihr Worte aus. Lama!

Sie macht mich winzig und klein
kommt, haut ihr eine rein!

Unten angekommen. Da stand die Oma-Frau im Kittel im Türrahmen der Haustür und drohte vor lauter Wut aus ihrem Ausgehklamotten zu platzen. Tatsächlich, sie trug mal keinen Kittel, sondern ihren gestreiften braunen Uralt-Hosenanzug und einen grünen Regen-Mantel darüber. Den warf sie gerade wütend und  achtlos auf den Boden.

Den kann ich wegwerfen!“, schrie sie.

Erst jetzt entdeckte Henni die weiße Farbe am Mantel

Was hast du dir dabei gedacht?“

„Was soll ich denn dieses Mal wieder getan haben?“, fragte Henni mutig und blieb abwartend am Fuß der Treppe stehen.

Schau dir die Sauerei an. Das wirst du mir bezahlen!“

Sie hat wieder gesoffen
und hat die Schaukel getroffen.
Aus grün wird weiß
was für ein Scheiß!

Ich soll es wieder gewesen sein
ich bin das arme Schwein
Trommelfell gerissen
wie krass beschissen!

Hörst du mir überhaupt zu?“, schrie die Oma-Frau im Kittel weiter.

„Nein!“, sagte Henni. „Auch ein Wort ist ein ganzer Satz!“

Es wurde ruhig. Die Oma-Frau im Kittel öffnete den Mund. Etwas Sabber kam aus dem Mund und ihre eklige Alkohol-Fahne wehte zu Henni herüber.

Ich soll es wieder gewesen sein
ich bin das arme Schwein
Trommelfell gerissen
wie krass beschissen!

Ich soll es wieder gewesen sein
ich bin das arme Schwein
Trommelfell gerissen
wie krass beschissen!

„Wenn du uns noch einmal etwas tust, werden wir Dr. Polter davon erzählen!“ Henni wusste nicht, woher sie diese grünen starken Worte und den Mut dafür nahm, aber sie stand da wie Harry Potter, ganz alleine vor Voldemort, und sie blieb da stehen, ohne auch nur einen Zentimeter zurückzuweichen.
Immer noch sagte die Oma-Frau im Kittel kein Wort. Kein einziges kam über ihre Lippen.

Dann, ganz langsam bewegte sie sich, schwankte kurz nach links, schwankte kurz nach rechts, links, rechts. Sie sackte auf den kleinen Stuhl neben der Kommode an der Haustür. Sie setzte sich nicht nur einfach. Es wirkte, als würde sie von etwas ganz großem Dunklen niedergedrückt, als hätte ihr jemand die ganze laute, rote Kraft weggenommen. Und zurück blieb eine alte Frau ohne Worte in einem gestreiften, braunen Hosenanzug, der ihr nicht einmal mehr passte. Genauswenig wie sie noch in diese Welt hineinpasste.  

Henni hatte fast ein wenig Mitleid mit der alten Frau, aber als ihr Ohr wieder anfing zu pochen und das taube Gefühl wie unter Wasser zurückkam, hörte das auf.

„Du wirst mir das bezahlen!“, flüsterte die Oma-Frau im Kittel. Ihre Stimme war kaum zu hören, doch der bittere Beigeschmack der Wut war bis zu Henni spürbar.

„Zieh es doch einfach von unserem Taschengeld ab! Das bekommen wir ja auch nicht!“, sagte Henni, drehte sich herum und ging wieder nach oben.

Jede Stufe eine Strophe.

Eins.

Ich soll es wieder gewesen sein
ich bin das arme Schwein
Zwei.
Trommelfell gerissen
wie krass beschissen!

Drei.
Sie ist so klein
und gar nicht fein

Vier.
Gestreift steht ihr nicht,
dem kleinen Kittelwicht.

Fünf.

Ich soll es wieder gewesen sein
ich bin das arme Schwein
Trommelfell gerissen
wie krass beschissen!

Sie ist so klein
und gar nicht fein

Gestreift steht ihr nicht,
dem kleinen Kittelwicht.

Henni schloss die Tür hinter sich und drehte den Schlüssel im Schloss herum. Zur Sicherheit stellte sie noch ihren Stuhl unter die Klinke. Sicher war sicher. Sie nahm ihre Bettdecke und das Kissen vom Bett und legte sich, angezogen wie sie war, unter den Tisch zu Ella. Nur die Schuhe zog sie aus.

„Du warst unglaublich mutig!“, sagte Ella und legte behutsam einen Flügel auf ihren Arm. „Und jetzt schlaf, ich passe auf dich auf, versprochen!“

„Ich vermisse sie so sehr!“, flüsterte Henni und begann lautlos zu weinen. Ella legte den zweiten Flügel auf ihren Kopf. Den letzten Moment hatte sie ihre ganze Selbstbeherrschung zusammengekratzt und die Krauses und Ben hinter sich stehen gefühlt. Und ihre Mama, doch die war nicht mehr da. Sie vermisste sie immer, jeden neuen Tag, doch heute, heute, da vermisste sie ihre Mama so sehr wie noch nie zuvor.

4 Kommentare

  1. Ulrike sagt

    Liebe Sabine,
    das ist eine sehr gute Idee (wenn man beim Schreiben ins Stocken gerät), mal die Perspektive und den Schauplatz (zurück in die Kindheit) zu verändern.

    Die Szene mit Henni und der lieblosen Voldemort-Oma finde ich sehr ergreifend. Wie die Oma vor lauter Wut aus ihren Ausgehklamotten platzt ist ein tolles Bild.

    Wünsche dir weiterhin guten Schreibfluss und bin gespannt, mehr über Hennis Kindheit zu erfahren.

    Herzliche Grüße
    Ulrike

  2. Sabine sagt

    Liebe Ulrike,
    ja, über die Veränderung der Perspektive erfahre ich beim Schreiben auf einmal ganz neue Facetten meiner Hauptfigur, die ich dann wieder für die Weiterführung der Geschichte nutzen kann. Außerdem hat jede Perspektive andere Infos gespeichert, die dann die Leser*innen, aber nicht immer die Hauptfigut auch miterhält.
    Eine spannende Weise zu schreiben, finde ich.
    Viele Grüße,
    Sabine

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