Allgemein, Henni
Kommentare 8

Henni und das Glück, das auf der Straße liegt, Teil 2

Hier ist der zweite Teil als Hördatei zu finden.

Hier ist noch einmal der letzte Absatz von Teil 1.
(…)
Es klingelt. Henni erschrickt, weil sie das gerade gedacht hat. Henni schaut Ulla an. Ulla schaut Henni an. Es klingelt nochmal. Ulla schaut Henni an. Henni schaut Ulla an. Nach dem fünften Klingeln geht Ulla zur Tür …

„H-e-n-n-i!“, ruft Ulla von der Tür. Henni weiß nicht so recht, nach welche Farbe ihre Stimme klingt. Ein aufgeregt ängstliches Weinrot kommt der Sache wohl am nächsten. Henni steht schnell auf.
„H-e-n-n-i!“ Ullas Stimme überschlägt sich und Henni rennt in den Flur, um zu sehen, was los ist.
„Henni, da steht e-i -n …“ Ulla sucht nach dem Wort für das, was sie sieht, schaut Henni entsetzt an und zeigt mit ausgestreckter Hand auf den Flur.
„Wer ist da?“, fragt Henni und schaut an Ulla vorbei auf den Flur. Da steht … Henni reibt sich die Augen. „Siehst du d–e–n, d–a–s auch? W–i–r sehen …“ Henni schaut hilfesuchend nach Ulla.

„Meine Damen, geben Sie mir bitte die Gelegenheit mich vorzustellen?“ Die Stimme klingt voll und tief und kommt vom Boden des Flurs. Da liegt ein Kopf mit Brille zu der Stimme. Der Körper dazu steht dahinter.

„Äh …!“ Das ist alles, was Ulla sagen kann.

„Was haben Sie mit Ihrem Kopf gemacht, Herr …?“, fragt Henni mutig und schaut nach unten zu der Brille auf dem Kopf.  „Immer in die Augen schauen, das ist höflich!“, hat ihre Oma immer gesagt und ihr solange eine Ohrfeige verpasst, bis sie das auch getan hat.

„Ich bin kein Herr, auch wenn meine Stimme die Menschen dazu verleitet mich als Herrn zu bezeichnen. Ich bin die Zeit.“, sagt die Zeit.

Henni lacht laut: „Die Zeit ist ein Holzkopf? Echt jetzt?“  Ulla lacht auch mit, aber ihr Lachen klingt immer noch ängstlich weinrot.

„Ja, so reagieren die Menschen immer, aber mein Kopf sitzt normalerweise auch auf meinen Schultern, aber ich hatte gerade eine Begegnung mit einer, zugegeben, etwas hässlichen Stoffpuppe und die hat mich geköpft!“

Jetzt muss Ulla laut lachen und das Weinrot wird immer heller und leuchtet schließlich gelb. Hennis Gesichtsfarbe übernimmt jetzt die rote Färbung. „Na ja, also, das war so … das waren wir, die sie geköpft haben. Können wir Ihnen helfen, Herr Holzkopf?“

„Ja, ich muss heute mal wieder auf die Winterzeit umstellen und das kann ich nur im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte veranlassen, wenn sie beide verstehen, was ich meine und seit Anbeginn meiner Zeit in meiner Funktion als Zeit bis heute tue, gestern getan habe und morgen weiter tun werde.“

„Na, dann kommen Sie endlich rein hier!“, sagt Ulla, „Ich mache schon mal Kaffee!“

„Sollen wir Ihren Kopf tragen?“, fragt Henni besorgt.

„Ja, das wäre sehr freundlich!“, antwortet die Zeit und tastet sich kopflos langsam in die Wohnung hinein!

„Wir sollten nicht noch mehr Zeit vertrödeln, Sie Holzkopf!“, sagt Henni. Den Holzkopf der Zeit hat sie sorgsam auf das bestickte Kissen auf die Couch gelegt. Ulla hat ihr eine Tube Sekundenkleber aus der Küchenschublade geholt und zurechtgelegt.

„Wissen Sie, was Sie da tun?“, fragt die Zeit und setzt sich langsam Schritt für Schritt vortastend neben ihren Kopf auf die Couch.

„Wir kennen uns mit Sekundenkleber aus, damit haben wir immer die Löcher in den alten Gummistiefeln gestopft!“, erklärt Henni und verteilt den Sekundenkleber auf dem Hals des Holzkopfs. „Bleiben Sie bitte ruhig sitzen. Ich muss jetzt Ihren Kopf anbringen.“

Die Zeit blieb seelenruhig sitzen, so, als hätte sie alle Zeit der Welt. Die hatte sie ja irgendwie auch.

„Und, wie gefällt es Ihnen?“,  fragt Henni, nachdem sie den Kopf eine Minute lang festgehalten und leicht angedrückt hat.

Ulla reicht ihr einen kleinen Handspiegel.

„Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich mich noch ein wenig bei meiner Erfinderin zur Reha einfinden, aber das hole ich dann nach der Zeitumstellung nach.“ Die Zeit schaut zufrieden in ihr Gesicht und im Minutentakt verrinnt die Zeit.

„Wir wünschen Ihnen dazu alle Zeit der Welt!“, sagt Henni zum Abschied und schraubt den Verschluss der Sekundenklebertube wieder auf.

„Ich bedanke und verabschiede mich und bitte etwas sorgsamer mit Puppen als Wurfgeschossen umzugehen.“ Die Zeit steht auf, bewegt ihren Kopf sorgsam in alle Richtungen, nickt zufrieden und ist zur vollen dritten Stunde dieser Nacht verschwunden.

 

 

 

8 Kommentare

    • Sabine sagt

      Liebe Anneliese, danke dir,
      ja, Henni kann bald auch Podcast! 😉
      Liebe Grüße,
      Henni und Sabine.

  1. Torsten sagt

    Dass es meiner Schwester Henni gibt, ist für mich ein großes Glück dahingehend, dass mein Zugang zu Poesie oder Gedichten doch recht “verstellt” ist 😉

    • Sabine sagt

      Bruderherz,
      na, dann wird Henni das auf jeden Fall auch noch hinbekommen,
      viele Grüße,
      Sabine und Henni.

  2. Annemarie+Winckler sagt

    Liebe Sabine,
    welch eine Idee, die Zeit mal eben kopflos zu machen und dann mit Sekundenkleber wieder zusammen zu löten. Schon ein bisschen gruselig, was da in meinem Kopf als Bild ausbreitete, als ich von dem herumliegenden Kopf hörte. Aber glücklicherweise war ja Henni, unterstützt von Ulla, als Retterin zur Stelle.
    Liebe Grüße
    Anne

    • Sabine sagt

      Liebe Anne,
      ich hatte den klaren Vorteil, dass ich meine Figur der Zeit kopflos vor mir auf dem Tisch stehen hatte. Ich habe sie auch tags drauf direkt bei der Reha „Andreas Indian Summer“ angemeldet, das wird ihr gut tun … 🙂
      Liebe Grüße,
      Sabine

Schreibe einen Kommentar zu Sabine Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert